Page 10 - LogReal.Direkt_Ausgabe-3.2025
P. 10
Rad und Halle
Beyerle
©DZMITRY PALUBIATKA – stock.adobe.com
Die Kolumne von Prof. Dr. Thomas Beyerle
Unsere Verkehrsinfrastruktur und
die Vorstellungskraft der 60er Jahre
Eine kleine Zeitreise wäre es ja schon wert, mal zurück ins fekt, der zu den maroden Brücken geführt hat, erklärt sich Prof. Dr. Thomas Beyerle
Jahr 1957 zu gehen, als es losging mit der Phase „inten- nach dem Gesetz der großen Zahlen durch die Fehlein- lehrt Immobilienwirtschaft
an der Hochschule
siver Infrastrukturentwicklung“ nach dem 2. Weltkrieg. schätzung der Verkehrsbelastung, weniger mathematisch Biberach
Verkehrswege, aber vor allem Brücken wurden dringend bedingt als durch die Grenze der bloßen Vorstellungkraft,
benötigt für den Aufschwung. Einfacher formuliert: Auf dass im Jahre 2024 auf 1.000 Einwohner 580 Pkw kom-
welchen Prämissen wurde damals geplant? Klar, erst ein- men – von den Lkw ganz zu schweigen. Auch dass die
mal galt es, schnellen Ersatzbedarf nach den Zerstörun- Gewichte der Fahrzeuge (ein VW Käfer 1960 wog rund
gen zu befriedigen. Dann richtete sich der Blick nach 950 Kilogramm, heute liegt ein Durchschnitts-SUV bei
vorn: Mit wieviel Lkw, Zügen, Pkw oder Straßenbahnen 1.700 Kilogramm) sich entwickeln, war jenseits der Vor-
planten unsere Vor-Vorgänger in die Zukunft? Wie war stellungskraft.
das mit der Prognose, dass ein Tragwerk namens Brücke Was heißt das aber heute bei der Planung der „neuen
auf 50 bis 100 Jahre Nutzungsdauer ausgelegt sein soll- Brücken“? Klar, „kurzfristiger“ Ersatzbedarf tut schnells-
te? Klar, das ist eine grobe Vorgabe, die nicht zuletzt von tens Not – nicht nur entlang der A45, genauso an der
der Bauqualität, Wartung, den Umweltbedingungen und Berliner A100 oder in der Dresdner Innenstadt. Aber
der Verkehrsbelastung abhängig ist. Und hier fangen die was heißt dann „neu bauen“ und auf welchen Prämissen?
kritischen Nachfragen zum heutigen Zustand schon an: Kreativer sein bei der Hochrechnung der zukünftigen Ver-
Schlechte Bauqualität? Wir sind in Deutschland – also kehrsbelastung? Mehr Lkw, mehr Pkw, mehr Modal Split?
nein! Mangelnde Wartung? Ein doppeltes Nein, denn das Online Shopping und die letzte Meile noch oben drauf-
ist knapp an der Grenze zur Beleidigung in einem Land, setzen? Oder sich im Klaren sein, dass es ein Denkfehler
das den TÜV hervorgebracht hat. sein kann, eben nur linear oder exponentiell fortzuschrei-
Es bleiben zwei Aspekte, die man heutzutage (ohne ben, damals wie heute?
besserwisserisch zu wirken) als Fehleinschätzung abstem- Die Antwort lautet: Von allem etwas, nur moderner:
peln kann. Die Umweltbedingungen und die Entwick- kohlenwasserstoffverstärkte Kunststoffe, Feuerverzin-
lung des Verkehrs der letzten 60 Jahre. Wobei sich die kung, fünf bis sieben Zentimeter Bewehrungsstahl, Poly-
Umweltbedingungen nicht nur auf Hitze und Kälte be- ethylen-Hüllen, CFK-Kabel, neue Lastmodelle, gerade
ziehen (Klimawandel oder Wetter? – das machen wir in auch für dynamische Schwingungen, modulare Bauweise,
einer anderen Kolumne). Nein, zufälligerweise fiel auch Prämissen der DIN 1076 „Hauptprüfung“ überprüfen,
die Einführung des Auftau- bzw. Streusalzes Anfang der flächendeckender Sensorik-Einsatz und vor allem be-
60er Jahre in diese Investitionsphase. Kurzfristiger, zwei- schleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren.
felsfrei notwendiger Vorteil wurde sich erkauft mit einem Klingt gut? Natürlich, nur fürchte ich, dass wir in 40
langfristigen Systemrisiko namens Korrosion. Professorale Jahren auch tief Luft holen werden, wenn die übernächste
Bauingenieurskollegen mit heute strammen 90 Lebens- Generation uns Vorwürfe macht, dass wir machen Dinge
jahren werden jetzt natürlich tief Luft holen und zu einer in 2025 doch hätten sehen müssen.
Rede über Armierung und Co. ansetzen. Geschenkt. Das
war schon richtig damals. Denn der weitaus größere Ef-
10 LogReal.Direkt

