Von Jim Hartley, Managing Director, Germany & Netherlands, SEGRO

Auf Podien, in Fachmedien und auf Konferenzen ist scheinbar immer öfter vom Ende des E-Commerce-Booms die Rede: Der Onlinehandel habe seinen Zenit überschritten. Konsumzurückhaltung, wirtschaftliche Unsicherheit und sinkende Wachstumsraten könnten den Eindruck erwecken, der Onlinehandel verliere an Bedeutung – auch als Treiber für Logistikimmobilien.
Doch diese Sichtweise ist falsch. Sie verwechselt einen vorübergehenden Nachfrageknick mit einem langfristigen Megatrend. Denn wer den E-Commerce allein an den jährlichen Wachstumsraten misst, übersieht das Wesentliche: Der Onlinehandel befindet sich nicht in einer Krise, sondern in einem tiefgreifenden strukturellen Wandel. Und dieser Wandel hat unmittelbare Folgen für die Supply Chains. Dies sorgt auch für eine Neubewertung der entsprechenden Immobilienstandorte und -anforderungen.
Flexibilität schlägt schiere Größe

Der Boom der vergangenen Dekade war geprägt von einer rasanten Flächenexpansion, getrieben durch Investitionen in großflächige Fulfillment-Zentren. Diese Objekte sind und bleiben wichtig, sie bilden das Rückgrat vieler Warenströme. Doch die Struktur des E-Commerce verändert sich. Gestiegene Energiepreise, Nachhaltigkeitsziele, technologische Innovationen und nicht zuletzt steigende Erwartungen der Endkunden führen dazu, dass Netzwerke intelligenter, feingliedriger und zugleich skalierbarer werden müssen.
Gleichzeitig verändern sich die Nutzer- und Kundenprofile: Die Anforderungen an Ausstattung, Erreichbarkeit und Energieversorgung steigen gerade bei kleinteiligen, urbanen Flächenformaten. Intelligente Gebäude müssen heute nicht nur logistisch effizient, sondern auch technologisch vorbereitet und mit Blick auf Nutzerkomfort geplant sein.
Immer mehr Unternehmen kombinieren zentrale Lager mit modularen Ergänzungsflächen: zum Beispiel für gekühlte Waren, automatisierte Sortierung oder Same-Day-Delivery-Sortimente. Solche Objekte stellen höhere Anforderungen an Bauweise und Technik, von automatisierungstauglichen Böden bis zu leistungsstarker Gebäudetechnik und flächendeckender PV-Versorgung. Auch der Einsatz nachhaltiger Baumaterialien – etwa durch Vollholztragwerke – gewinnt für Investoren wie Nutzer beziehungsweise Kunden aufgrund der geringeren grauen Energie an Bedeutung. Nachhaltigkeit ist kein Add-on mehr, sondern Grundlage betrieblicher Investitionsentscheidungen.
Die Typentrennung verschwimmt, hybrides Denken ist gefragt
Was bedeutet das für die Immobilienstrategie? Unter anderem verliert die frühere Trennung zwischen Zentral- beziehungsweise Distributionslager und Last Mile an Relevanz. Damit rücken auch Logistik- und Light-Industrial-Flächen deutlich näher zusammen. Gefragt sind hybride Lösungen, die Elemente beider Kategorien kombinieren: Gute Anbindung für überregionale Versorgung und gleichzeitig die Möglichkeit, auf urbane oder regionale Zielmärkte zuzugreifen. Dafür nötig sind auch eine angemessene Gebäudetiefe, Andienung auf mehreren Seiten, teilbaren Einheiten und ausreichender Medienversorgung. Gleichzeitig sinkt die Akzeptanz von Standardlösungen, denn der Markt differenziert sich weiter aus.
Der Trend geht klar zu flexiblen, modular teilbaren Einheiten, die sich unterschiedlichen Nutzerbedürfnissen anpassen lassen, von der urbanen Belieferung bis zur technischen Aufrüstung für E-Mobilität oder temperaturgeführte Logistik. Gebäude müssen heute zugleich skalierbar, sozialverträglich und nachhaltig sein.
Ein oft übersehener Aspekt ist die strategische Bedeutung der Mikrolage. In Zeiten hoher Energiepreise und ESG-Vorgaben geht es nicht nur um Gebäudetechnik, sondern auch um Wegstrecken, Verkehrsvermeidung und multimodale Erreichbarkeit. Standorte, die mehrere Absatzmärkte gleichzeitig bedienen können, gewinnen an Attraktivität – ebenso wie Areale, die über bestehende Infrastruktur verfügen beziehungsweise sich auf erschlossenen Brownfields entwickeln lassen. Dabei geht es nicht allein um Nachhaltigkeit, sondern auch um Resilienz: Diversifizierte, redundanzfähige Netze sind widerstandsfähiger gegenüber Störungen.
Der differenzierte E-Commerce: viele Nutzer, viele Strategien
Die Annahme, es gäbe „den einen“ E-Commerce-Nutzer, war schon immer zu grob. Heute zeigt sich noch klarer: Zwischen internationalem Plattformgeschäft, spezialisierten Nischenhändlern, schnell drehenden Konsumgütern und (temperatur-)empfindlichen Produkten gibt es enorme Unterschiede, auch im Flächenbedarf. Während einige Nutzer auf zentrale automatisierte Hubs setzen, benötigen andere eher dezentrale, kleinere Einheiten mit kurzen Lieferzeiten.
Wer diese Vielfalt richtig interpretiert, kann gezielt auf neue Nachfragesegmente reagieren. Für Entwickler aber auch Nutzer heißt das: Statt auf kurzfristige Marktzyklen zu reagieren, braucht es vorausschauende Konzepte sowohl in der Planung als auch in der Positionierung von Objekten.
Deutschland bleibt Schlüsselland mit strukturellem Rückenwind
Trotz konjunktureller Herausforderungen bleibt Deutschland einer der attraktivsten Logistikmärkte Europas auch für den E-Commerce. Gründe dafür sind die zentrale geografische Lage, die starke Binnenwirtschaft und eine hohe Kapitalkraft. Gerade international tätige Akteure erkennen diese strukturellen Vorteile, nicht zuletzt im Vergleich zu anderen europäischen Ländern.
Zudem entstehen neue Nachfrageimpulse: Im Raum Duisburg/Oberhausen beobachten wir beispielsweise ein verstärktes Interesse chinesischer Logistiker im Zuge der Seidenstraßen-Initiative. In bestimmten Teilmärkten gingen zuletzt mehr als 60 Prozent der Anfragen auf chinesische Nutzer zurück – eine Entwicklung, die auch langfristig Potenzial verspricht.
Diese strukturelle Attraktivität erhält zusätzlichen Rückenwind durch das milliardenschwere Infrastrukturpaket der Bundesregierung. Mit Investitionen in Straßen, Brücken und Schienenverbindungen sollen zentrale Engpässe beseitigt werden, insbesondere in logistischen Kernregionen wie Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachsen. Für Unternehmen und Investoren bedeutet das: mehr Planungssicherheit, bessere Erreichbarkeit, zukunftsfähige Standorte.
Wer heute auf hochwertige Flächen setzt, profitiert künftig nicht nur von der Lage – sondern auch von einem logistischen Modernisierungsschub, der Deutschland langfristig als E-Commerce-Drehscheibe Europas stärkt.
Quelle und Bildquelle: SEGRO Germany GmbH