StartLogistikUnsere Verkehrsinfrastruktur und die Vorstellungskraft der 60er Jahre

Unsere Verkehrsinfrastruktur und die Vorstellungskraft der 60er Jahre

Von Prof. Dr. Thomas Beyerle, Hochschule Biberach

Prof. Thomas Beyerle
Prof. Thomas Beyerle

Eine kleine Zeitreise wäre es ja schon wert, mal zurück ins Jahr 1957 zu gehen, als es losging mit der Phase „intensiver Infrastrukturentwicklung“ nach dem 2. Weltkrieg. Verkehrswege, aber vor allem Brücken wurden dringend benötigt für den Aufschwung. Einfacher formuliert: Auf welchen Prämissen wurde damals geplant? Klar, erst einmal galt es, schnellen Ersatzbedarf nach den Zerstörungen zu befriedigen. Dann richtete sich der Blick nach vorn: Mit wieviel Lkw, Zügen, Pkw oder Straßenbahnen planten unsere Vor-Vorgänger in die Zukunft? Wie war das mit der Prognose, dass ein Tragwerk namens Brücke auf 50 bis 100 Jahre Nutzungsdauer ausgelegt sein sollte? Klar, das ist eine grobe Vorgabe, die nicht zuletzt von der Bauqualität, Wartung, den Umweltbedingungen und der Verkehrsbelastung abhängig ist. Und hier fangen die kritischen Nachfragen zum heutigen Zustand schon an: Schlechte Bauqualität? Wir sind in Deutschland – also nein! Mangelnde Wartung? Ein Doppeltes Nein, denn das ist knapp an der Grenze zur Beleidigung in einem Land, das den TÜV hervorgebracht hat.

Es bleiben zwei Aspekte, die man heutzutage (ohne besserwisserisch zu wirken) als Fehleinschätzung abstempeln kann. Die Umweltbedingungen und die Entwicklung des Verkehrs der letzten 60 Jahre. Wobei sich die Umweltbedingungen nicht nur auf Hitze und Kälte beziehen (Klimawandel oder Wetter? – das machen wir in einer anderen Kolumne). Nein, zufälligerweise fiel auch die Einführung des Auftau- bzw. Streusalzes Anfang der 60er Jahre in diese Investitionsphase. Kurzfristiger, zweifelsfrei notwendiger Vorteil wurde sich erkauft mit einem langfristigen Systemrisiko namens Korrosion. Professorale Bauingenieurskollegen mit heute strammen 90 Lebensjahren werden jetzt natürlich tief Luft holen und zu einer Rede über Armierung und Co ansetzen. Geschenkt. Das war schon richtig damals. Denn der weitaus größere Effekt, der zu den maroden Brücken geführt hat, erklärt sich nach dem Gesetz der großen Zahlen durch die Fehleinschätzung der Verkehrsbelastung, weniger mathematisch bedingt als durch die Grenze der bloßen Vorstellungkraft, dass im Jahre 2024 auf 1.000 Einwohner 580 Pkw kommen – von den Lkw ganz zu schweigen. Auch das die Gewichte der Fahrzeuge (ein VW Käfer 1960 wog rund 950 Kilogramm, heute liegt ein Durchschnitts-SUV bei 1.700 Kilogramm) sich entwickeln, war jenseits der Vorstellungskraft.

Was heißt das aber heute bei der Planung der „neuen Brücken“? Klar, „kurzfristiger“ Ersatzbedarf tut schnellstens Not – nicht nur entlang der A45, genauso an der Berliner A100 oder in der Dresdner Innenstadt. Aber was heißt dann „neu bauen“ und auf welchen Prämissen? Kreativer sein bei der Hochrechnung der zukünftigen Verkehrsbelastung? Mehr Lkw, mehr Pkw, mehr Modal Split? Online Shopping und die letzte Meile noch oben draufsetzen? Oder sich im Klaren sein, dass es ein Denkfehler sein kann, eben nur linear oder exponentiell fortzuschreiben, damals wie heute?

Die Antwort lautet: Von allem etwas, nur moderner: Kohlenwasserstoffverstärkte Kunststoffe, Feuerverzinkung, fünf bis sieben Zentimeter Bewehrungsstahl, Polyethylen-Hüllen, CFK-Kabel, neue Lastmodelle, gerade auch für dynamische Schwingungen, modulare Bauweise, Prämissen der DIN 1076 „Hauptprüfung“ überprüfen, flächendeckender Sensorik-Einsatz und vor allem beschleunigte Planungs- und Genehmigungsverfahren.

Klingt gut? Natürlich, nur fürchte ich, dass wir in 40 Jahren auch tief Luft holen werden, wenn die übernächste Generation uns Vorwürfe macht, dass wir machen Dinge in 2025 doch hätten sehen müssen.

Quelle: LogReal Direkt
Bildquelle: Catella Real Estate AG

LogReal.Direkt Pur
- Advertisment -spot_img

Aktuelle News