Raimund Paetzmann, ehemals Real Estate-Verantwortlicher bei Amazon und Zalando und heute Managing Director des Berliner Beratungsunternehmens Logivalue, prophezeit im Rennen um die knappe Ressource Bauland einen „Land Grab“ ungeahnten Ausmaßes. Er sieht ein maximal 18-monatiges Zeitfenster, das den Akteuren im Wettrennen um die begehrten Logistikflächen in Deutschland, aber auch in Europa verbleibt, um sich die strategisch wichtigen Grundstücke zu sichern.
? Herr Paetzmann, wie kommen Sie auf 18 Monate? Ist der Zeitrahmen wirklich so eng?

Raimund Paetzmann: Dieses Zeitfenster ergibt sich für mich aus drei neuen Nachfragewellen. Da sind zunächst die wachsenden Anforderungen an die Anpassung der Lieferketten. Dann befinden wir uns in einer Situation historisch knapper, bau¬rechtlich freier Grundstücke. Last but not least benötigen Genehmigung und Bau 18 Monate, bevor die erste Preis und Anschlusskosten¬spirale voll greift.
Schauen wir uns an, was derzeit passiert, und zwar gleichzeitig:
- In Sachen China Retail hat Temu binnen 18 Monaten 92 Millionen EU-Nutzer gewonnen und baut eigene EU-Fulfillment-Knoten für „local2local“-Modelle auf. TikTok Shop folgt mit „Fulfilled by TikTok“ in Deutschland. Beide kalkulieren jeweils mit mindestens 250.000 m² zusätzlicher Lagerfläche bis 2026.
- Der Datencenter-Boom: Der deutsche Markt für Rechenzentren wächst bis 2030 jährlich um fast neun Prozent. Die Betreiber müssen Strom- und Netzanschlusskontingente drei Jahre im Voraus reservieren und sichern sich deshalb heute großflächig Grundstücke.
- Energie als limitierender Faktor: Europas Stromnetze weisen laut aktueller BCG Studie ein Investitions¬defizit von rund 250 Milliarden Euro bis 2030 auf. Grid Slots für Spitzenlasten sind bereits heute vielerorts ausgebucht.
- Re-Militarisierung: Rheinmetall & Co. kaufen Areale, um die Produktionskapazitäten hochzufahren. Aber auch durch „dual use“ und Drohnenproduktion entstehen ein zusätzliche Light Industrial-Bedarfe. Diese Flächen konkurrieren direkt mit klassischen Logistikparks.
? Haben Logistiker und Onlinehändler überhaupt eine Chance, im Wettbewerb um Grundstücke gegen kapitalkräftige und angesehene Nachfrager wie Microsoft, Google oder Rheinmetall zu bestehen?
RP: Ja. Logistiker und Onlinehändler haben realistische Chancen, wenn bei einem Wettbewerb um Bauland berücksichtigt wird, was der konkrete Binnenmehrwert ist. Land und Energie sind strategische Infrastruktur und wenn man strategisch denkt, sollten Vorhaben eine regionale, nationale oder zumindest europäische Wirksamkeit haben. Die Logistik muss diesen Wettbewerb annehmen, mit genügend Vorlauf strategisch denken und das Narrativ beim Werben um Flächen entsprechend anpassen. Also darauf aufmerksam machen, dass Datencenter nicht immer wirksam sind, während Logistik zur regionalen und überregionalen Versorgung beiträgt und mit 14 Prozent einen erheblichen Anteil am Europäischen BIP hat. Außerdem schafft Logistikinfrastruktur Arbeitsplätze, während Datencenter mit sehr wenig Personal betrieben werden können.
? Welchen Einfluss haben Nearshoring-Bestrebungen der europäischen Unternehmen auf die Flächenverfügbarkeit?
RP: Nearshoring ist kein Buzzword mehr. Bosch, POSCO und LG Energy bauen neue Werke in Niederschlesien. CTP stockt sein Bukarest-Cluster um 300 000 m² auf, während Mietniveaus in West-Rumänien erstmals die Fünf-Euro-Schwelle testen. Nearshoring verschiebt die Versorgungszeiten und –puffer. In Deutschland steigen die Anforderungen an die Grenzregionen Sachsen, die Oberpfalz und den Niederrhein, wo Konversionsflächen schon heute rar sind.
? Für wie relevant halten Sie die Einhaltung der ESG-Kriterien, insbesondere im Hinblick auf die nach wie vor drohenden Instabilitäten in der Versorgung mit erneuerbarer Energie?
RP: Wir sollten nicht so tun, als wäre ESG ein „nice-to-have“, denn die EU-Taxonomie und das Urteil des Bundesverfassungsgericht zur Generationengerechtigkeit kommen mit Verpflichtungen einher. Der Energieeffizienz-Act verpflichtet ab 2025 alle großen Nichtwohngebäude zum Energie- und Abwärme-Management.
Europa hat keine nennenswerten fossilen Eigen¬reserven und muss schon allein deshalb sein Stromnetz für Dekarbonisierung und KI-Lasten ertüchtigen. Wir haben zwar Solar Kapazitäten, doch das Netz hinkt hinterher. 2024 wurden rund 1,4 TWh Solarstrom abgeregelt. Um das zu ändern müssen wir eine 250 Milliarden Euro große Netz-Investitionslücke bis 2030 schließen. Energie ist jetzt strategische Ressource. Ohne ESG-Reife bekommt niemand mehr einen Netz-Slot, denn ESG ist Zuteilungskriterium. Die Niederlande rationieren bereits Anschluss¬kapazitäten.
? Auch wenn Deutschland als zentraler HUB in Europa das präferierte Ziel und ein Core Market ist: Welche Länder in der EU bieten ebenfalls gute Möglichkeiten für Logistikansiedlungen?
RP: Zunächst Polen, genauer die Regionen Oberschlesien und Poznań aufgrund der Nähe zu zahlreichen OEMs, des funktionierenden Arbeitsmarkts und des Autobahnausbaus. Dann Tschechien, vor allem der Plzeň-Korridor mit der Möglichkeit einer 24-Stunden-Lieferung nach Süddeutschland und ausgewiesener Robotik-Kompetenz.
In Spanien überzeugt Zaragoza als Bindeglied zwischen Barcelona und Madrid. In Rumänien ist die Region Cluj-Napoca zu beachten, nicht zuletzt wegen möglicher hoher Renditen.
? Spielt die Nähe eines Standorts zum potenziellen Aggressor Russland eine Rolle bei der Auswahl eines Logistikstandorts?
RP: Die unmittelbare Nähe wird sich durch Risikozuschläge bei Versicherungs- und Finanzierungskosten bemerkbar machen. Gleichzeitig wird es aus dem militärisch-logistischen Bereich eine erhöhte Nachfrage Richtung Osten geben. Auch für den hoffentlich baldigen Wiederaufbau der Ukraine wird es im Rahmen des Wiederaufbaus notwendig sein, die Logistik auszubauen. Grenznahe Standorte zur Ukraine werden attraktiver.
? Für Sie ist die Logistik das Herzstück der industriellen Agenda. Deshalb fordern Sie die lokalen Entscheidungsträger und Behören auf, Ansiedlungen aus diesem Bereich zu priorisieren. Glauben Sie, dass man Ihnen Gehör schenken wird?
RP: Ja, denn Logistik und Verkehrsinfrastruktur sind systemrelevant und für die Versorgung Deutschlands entscheidend. Ich sehe Bewegung: Das Projekt Logport VI in Duisburg wurde 2025 als systemrelevant eingestuft. Kommunen erkennen, dass Logistik heute nicht nur Lkw-Verkehr bedeutet, sondern drei- bis fünfmal so viele Jobs im Vergleich zu Datencentern schafft und zur kommunalen Energiewende beiträgt.
Unser Appell lautet, Logistik als Infrastruktur mit eigenem Flächenziel in Regionalplänen zu verankern und große Brownfields oder Konversionsflächen zu priorisieren.
Quelle und Bildquelle: LogReal World GmbH