Page 3 - LogReal.Direkt_Ausgabe-3.2025
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Editorial
The Summer of Our Discontent
Was uns in diesem nunmehr dritten Sommer des Missvergnügens umtreibt, ist weniger die von
Clickbait-Portalen angekündigte „Höllenhitze“, sondern die vielen kleinen und großen Defekte in
der landesweiten Infrastruktur. Wohin man auch blickt: Es bröckeln die Brücken, es bröseln die
Straßen, es ächzen die Bahngleise, es schweigen die Funklöcher und es fehlen Ressourcen für ener-
gieintensive Nutzungen wie Datencenter.
Letzteres wurde jetzt erneut offenbar durch einen Rückzug, den Google angekündigt hat: Nach
einem gründlichen Assessment der Netzsituation in Berlin und dem Berliner Umland hat das Un-
ternehmen laut „Märkischer Allgemeiner Zeitung“ und „Data Center Dynamics“ beschlossen, dem
geplanten Datencenter im Raum Mittenwalde den Stecker zu ziehen. Der extrem gestiegene Ener-
giebedarf für KI-Anwendungen werde dort nicht hinreichend abgebildet, so das Unternehmen.
Das 2022 von Google erworbene 30 Hektar große Grundstück ist damit wieder frei für Investoren.
Platzen damit massenweise die Developer-Träume von Datencenter-Projektentwicklungen in
Deutschland? Nicht unbedingt. Der Immobilienexperte Raimund Paetzmann rät jedoch allen Ent-
wicklern und Investoren, sich frühzeitig nicht allein um den strategischen Ausbau ihrer Landbank,
sondern auch um Energiesicherheit an den begehrten Standorten zu kümmern. Er weist darauf hin,
dass in den Niederlanden Anschlusskapazitäten bereits rationiert werden. Und: Ohne ESG-Reife
werden Netz-Slots nur schwer zu bekommen sein (Interview Seiten 18/19).
ESG hin oder her: Es gibt Stimmen, die Datencenter-Projekte im großen Stil hierzulande ohnehin
für schwer realisierbar, wenn auch nicht für gänzlich ausgeschlossen halten (siehe Ausgabe Januar/
Februar, Interview mit Frank Thelen). Es bleibt eine ernüchternde Erkenntnis: Energieintensive
Industrien, heute schon fast unerwünscht, könnten dank der Energiewende in Zukunft nahezu un-
möglich darstellbar sein.
All das ist nicht neu, all das wird, mal mehr, mal weniger intensiv bearbeitet, und zwar mit Rekord-
summen. Trotzdem ist der Fortschritt in vielen Infrastrukturprojekten nach wie vor eine Schne-
cke. Beispiel Deutsche Bahn: Die Vollendung der Sanierung des Bahnnetzes wird immer weiter
in die Zukunft verschoben. Der „Deutschlandtakt“ bleibt vorerst Utopie, die „Korridorstrategie“
des Sanierungsplans hinkt den Erwartungen und Plänen deutlich hinterher (Seiten 08–11). Die
Inbetriebnahme von Stuttgart21 (schon der Name des neuen Hauptbahnhofs in der schwäbischen
Metropole klingt wie Hohn) wurde kürzlich von 2026 auf das Jahr 2027 verschoben. Die Liste der
Unzulänglichkeiten im Imperium des Herrn Lutz wird einfach nicht kleiner. Und trotzdem konse-
quent weggelächelt.
Zwei weitere Aspekte sollen hier kurz angerissen werden. Zunächst die Tatsache, dass Deutschland
innerhalb der NATO die zentrale europäische Logistikdrehscheibe für sich anbahnende Konflikte
an der Ostgrenze ist. Diese Funktion kann nur erfüllt werden, wenn Schwertransporte nicht vor
maroden Brücken kapitulieren müssen (Seiten 16/17). Hier herrscht akuter Handlungsbedarf.
Last but not least: Das zum Teil deutliche Gefälle zwischen ländlicher und urbaner Infrastruktur ist
ein Konjunkturprogramm für populistische Parteien. Wo es keine Schulen, Krankhäuser und Su-
permärkte gibt und wo ÖPNV-Verbindungen nicht existieren oder rar sind, steigt die Unzufrieden-
heit der Menschen mit den politisch Verantwortlichen, die nicht in der Lage sind, zu liefern. Abhil-
fe sieht unser Autor Dr. Thomas Steinmüller im Ausbau logistischer und digitaler Infrastrukturen.
Damit könne dem Populismus etwas Wirkungsvolles entgegengesetzt werden (Seiten 11–13).
Soviel zur Einstimmung auf unsere Sommerausgabe. Wir wünschen Ihnen entspannte Ferientage
mit moderaten Temperaturen weit unterhalb der angedrohten „Höllenhitze“. Bleiben Sie uns ge-
wogen.
Thomas Pool
Chefredakteur
LogReal.Direkt 3

