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Editorial
Droht ein Winter des Missvergnügens?
Spielen wir den kommenden Winter gedanklich mal durch. Am Anfang der angedrohten Energie-
preissteigerung steht: Sparen, sparen, sparen. Das ist im Rahmen der immer noch grassierenden
Corona-Pandemie und in Inflationszeiten schon jetzt unser tägliches „new normal“. Wir sparen
wie die Teufel, natürlich vor allem beim Energieverbrauch. Das ist im Sommer relativ easy, aber
im Winter? Es folgen die Einsparungen bei lieb gewonnen Gewohnheiten wie Urlaubsreisen,
Thomas Pool, Chefredakteur Restaurant- und Kinobesuchen sowie bei der Anschaffung von Kleidung und Möbeln. Von dieser
Art des Konsums werden sich viele Verbraucher mehr und mehr verabschieden, allein schon aus
Angst vor hohen Nachzahlungen für Gas und Strom sowie aus reiner Vorsicht. Man hält sein
Geld zusammen, wenn in der Nachbarschaft die Kanonen donnern.
Was die Verbraucher praktizieren, haben kluge Unternehmen längst in ihre DNA eingeschleust.
Da Preiserhöhungen in der Regel Gift sind für Umsatz und Gewinn, wird an Qualität und Leis-
tung gespart. Und das in vielen Bereichen nicht zu knapp!
Flugverbindungen werden gestrichen. Die Zustellung der Briefpost wird auf wenige Wochen-
tage eingeschränkt. Die Waggons der Bahnen sind schmuddeliger als üblich, die sogenannte
Wagenreihung der ICE-Züge ist selten korrekt. Der Teller im Lieblingsrestaurant ist nicht mehr
so gut gefüllt, die Qualität der Speisen war auch schon mal besser. Die Salami schmeckt jetzt
irgendwie billig, die Kekse enthalten weniger Kakao, die Schokolade sowieso. Packungsgrößen
schrumpfen über Nacht. Produkte des täglichen Bedarfs fehlen über längere Zeiträume in den
Supermarkt regalen. Das betrifft mittlerweile nicht mehr das Toilettenpapier (Sie erinnern sich?),
sondern Nudeln, Reis und andere Grundnahrungsmittel. Man ist schon froh, wenn man statt der
geliebten Nudeln aus Hartweizengrieß die etwas pappige, ungesund aussehende Dinkelvariante
findet.
Lieferungen verzögern sich, der Handwerker kommt auch nicht dann, wenn man ihn braucht.
Und selbst wenn eine bestellte Ware pünktlich geliefert wird, kann man mittlerweile fast davon
ausgehen, dass etwas fehlt: Wo sind die Schrauben, die für die Montage des neuen Küchen-
tischs notwendig sind? Die verstellbaren Füße sind auch nicht dabei. Es wird Schrott produziert,
Schrott wird geliefert. Manchmal wird auch gar nicht geliefert. Die vor Monaten bestellte Küche
kommt nicht und kommt nicht und kommt nicht. Diese und andere Fälle kennt mittlerweile fast
jeder aus eigenem Erleben oder aus dem Bekanntenkreis.
Frust herrscht auf allen Ebenen. Erklärungen dafür gibt es viele, darunter auch glaubhafte bzw.
nachvollziehbare. Aber wer will das noch hören?
Bald sind wir wirklich alle ärmer. Und das nicht nur ein bisschen. Unternehmen werden insolvent,
Jobs gehen verloren. Investitionen finden nicht mehr statt. Rezession eben, der reinste Horror.
Das ist aber Gott sei Dank nur die Albtraumvariante dessen, was passieren könnte. Noch können
wir gegensteuern. Die Ampel-Koalition könnte sich beispielsweise nach der Sommerpause end-
lich aufraffen, die richtigen Schritte in Sachen Energiesicherheit etc. einzuleiten. Die Möglichkeit
besteht durchaus. Fest steht: Der Herbst wird zeigen, ob wir einen Winter des Missvergnügens
erleben werden wie die Briten Ende der 70er Jahre. Nur zur Erinnerung: Auf diesen „winter of dis-
content“ folgte im Mai 1979 der Wahlsieg Margret Thatchers, verbunden mit dem Machtverlust
der britischen Sozialdemokraten (Labour Party) für fast zwei Jahrzehnte.
Was immer auch passiert: Bleiben Sie angemessen heiter und optimistisch.
Immerhin ist der Sommer noch nicht vorbei!
Thomas Pool | Chefredakteur
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