StartImmobilienDie deutsche Baupolitik – ein Fall von Ignoranz

Die deutsche Baupolitik – ein Fall von Ignoranz

Der bekannte Podcast „Die Haus-Meister“ hat uns inspiriert, ein Gespräch zu führen mit Andreas Schulten, einem der Podcast-Protagonisten und Urgestein der Immobilienbranche, dem „Lord of Property Figures“ (so eine Zeitschrift) und mittlerweile (seit Ende 2023) Ruheständler. Wie viele Stories und Anekdoten lauern in einem Berufsleben, das der Diplom-Geograf 1986 mit einem Praktikum bei Hartmut Bulwiens Münchener Institut für Markt-, Regional- und Wirtschaftsforschung begann und das mit der Krone des Generalbevollmächtigten bei Bulwiengesa endete?

Wobei „enden“ nicht stimmt, denn Andreas Schulten ist nach wie vor aktiv. Auf seiner Homepage andreas-schulten.com zählt er eine Reihe von (Ehren)Ämtern auf:

Vorstand der Freunde der Schinkelschen Bauakademie
gif-Ehrenmitglied und Leiter KG Development
Vorstand Liberale Immobilienrunde
Vorstand iddiw
Stiftungsrat IREBS Foundation AFRER.

Noch bevor es in unserem Gespräch an die harten Themen ging, musste er uns in einer Angelegenheit dringend auf die Sprünge helfen …

? Herr Schulten, Sie lieben Immobilien Comics. Mal abgesehen davon, dass vielen unserer Leser wahrscheinlich nicht ein einziger einfällt oder bekannt ist: Welche sind Ihre Lieblinge?

Andreas Schulten
Andreas Schulten

Andreas Schulten: Wir leben in Zeiten, in denen Menschen in ihrer jeweiligen Blase über LinkedIn-, Insta- oder sonstige Posts miteinander kommunizieren. Wie kann man da gegensteuern? In diesem Zusammenhang bin ich auf Comics gekommen. Ich bin der Meinung, dass ein Comic, der die Immobilienwirtschaft mit einem Schmunzeln auf die Schippe nimmt, vielen helfen würde zu verstehen, was da überhaupt passiert. Mir würde etwas gefallen, das ähnlich wie früher die Peanuts als regelmäßige Comic-Serie in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht wird. Wenn wir ehrlich sind, dann suchen wir doch alle nach Kommunikationsformen, die uns begeistern. Mir fällt da zum Beispiel die Arbeit von Ron Hess, dem Kommunikationschef der on-geo GmbH, ein.

? Sollten Sie je in Versuchung kommen, sich auf diesem Gebiet zu betätigen, können Sie uns gern ansprechen. Was uns außerdem interessiert: Wie kommt man als Geograf zur Marktforschung?

AS: Marktforschung ist vielfach Regional- und Stadtforschung, es geht um die räumlichen Geschichten. Bei Bulwiengesa sind viele Geografinnen und Geografen angestellt, bei vielen Maklern ebenfalls. Sie sind gut in der Beantwortung folgender Fragen: Was passiert räumlich in einer Stadt, in einem Stadtteil oder in der Regionalentwicklung? Geografen sind da sehr gut und breit aufgestellt dank ihrer Ausbildung.

In die Finanz- und Immobilienwelt wächst man hinein als Geograf. Man muss sich nur einmal vor Augen führen, dass 80 Prozent des Volksvermögens in Immobilien steckt. Dann kann man ermessen, welche Bedeutung Immobilien für den Einzelnen, für die Wirtschaft und somit auch für die Marktforschung haben.

? Sie blicken auf 36 aktive Jahre in der Immobilienforschung und -bewertung zurück. An welche spektakuläre Unternehmenspleite erinnern Sie sich noch heute?

AS: Mein Favorit liegt da, wo mit Immobilien Betrug begangen wurde. Und da ist Jürgen Schneider in den 90er Jahren ungeschlagen. Das hat mich schon sehr beeindruckt. Aber auch die Pleitewelle der letzten Jahre ist immens, zum Beispiel die Signa-Geschichte. Es ist schwierig, die Verantwortung für das, was da passiert ist, festzustellen. Der Unternehmenserfolg hängt bei Immobilienprojekten oft am seidenen Faden, und wenn dann nur ein Risiko kommt, wird es schnell bedrohlich.

Ein weiteres Problem sind die Bewertungen. Es gibt Entwickler, die lassen sich vier Bewertungsgutachten erstellen, die teilweise recht weit auseinander liegen. Es liegt vieles am Bewertungsstichtag und an den Marktzyklen, die wir haben. Auch die Nutzer-Soziologie ist extrem unterschiedlich, sie reicht vom Startup bis zum Trader, der renditegetrieben agiert.

? Wenn Sie auf das noch relativ junge 21. Jahrhundert blicken: Was hat sich in den vergangenen 25 Jahren in der Immobilienwelt am drastischsten verändert?

Politische Ignoranz

AS: Die Jahre von 2009 bis 2022 waren ein heftiger Einschnitt in den normalen Zyklus. Wir hatten Wachstum in den Bereichen Wirtschaft, Bevölkerung und Beschäftigung. Alles angetrieben von der Niedrigzins-Phase. Für Deutschland war entscheidend, dass die im Euro-Raum vorherrschende Austerität beispielsweise eine Stadt wie Berlin zu einem der weltweit begehrtesten Anlageplätze gemacht hat.

Ebenfalls einschneidend ist die politische Ignoranz. Früher gab es eine aktive Baupolitik. Momentan wird diese Funktion eher von den Medien erfüllt. Allerdings negativ. Beispiel Wohnbauprojekte: Es dauert in der Regel nicht allzu lang, bis in den Schlagzeilen von Gentrifizierung gesprochen wird. Man kann es nicht anders sagen: Immobilien stehen derzeit am Pranger. Das geht nicht mehr lange gut.

? Macht KI demnächst große Teile des Immobilien Researchs überflüssig?

AS: Viele Researcher werden in andere Bereiche ausweichen müssen. Grundsätzlich möchte ich betonen, dass eine KI in der Immobilienwelt immer auf den jeweiligen Markt und das jeweilige Milieu abgestimmt sein müsste, um valide zu sein. Wir werden also erst einmal viele KIs sehen, die mehr oder weniger zutreffende Aussagen zu spezifischen Immobilienmärkten treffen werden. Wer prüft die Ergebnisse? KI ist kontextabhängig, und wir müssen diesen Kontext immer wieder berücksichtigen und erklären.

? Warum kann die Immobilienwirtschaft mit Krisen nicht vernünftig umgehen?

AS: Der von institutionellen Akteuren bestimmte Teil der Immobilienwirtschaft ist absolut renditegetrieben. Mit Immobilien lassen sich in diesem Kontext quasi Arbitragegeschäfte machen, die immer mit hohen Risiken verbunden sind. Aber nochmal: 80 Prozent des Volksvermögens steckt in Immobilien, was den Begriff der Immobilienwirtschaft doch etwas fragwürdig macht. Wenn man zudem den wirtschaftlichen Aspekt etwas ausblendet, dann geht es auch um Themen wie Daseinsvorsorge durch die Schaffung von Wohnraum und die Bereitstellung von Immobilien für die Versorgung der Menschen. Mit dieser Krise gehen wir nicht gut um.

Die nächsten Investoren

? Ist für Sie ein Ende der aktuellen Krise in Sicht?

AS: Es geht im Kern um die Frage, wann die nächste Phase kommt und wie sie aussieht. Wer sind die Investoren der nächsten zehn bis fünfzehn Jahre? Viele schwören auf Family Offices und Stiftungen. Ich glaube auch, dass es nicht mehr die angelsächsisch geprägte Investorenwelt sein wird, die ein Jahrzehnt lang tonangebend war, indem sie auf das Wachstum der deutschen Wirtschaft und auf einen bestimmten Immobilientyp gewettet hat. Für mich ist aber die eigentlich entscheidende Frage: Wohin transformieren wir die Immobilienmärkte? Das wird spannend zu beobachten sein.

? Wenn Sie die wichtigsten Lehren aus der Vergangenheit ziehen: Welche drei Kardinalfehler sollte die Immobilienbranche in Zukunft auf jeden Fall vermeiden?

AS: Wir sollten eine größere Anzahl an Menschen teilhaben lassen an den Chancen und Risiken einer Immobilie. Wir brauchen in Deutschland eine höhere Eigentumsquote. Bei den wirtschaftlich genutzten Immobilien ist das der Fall, das müssen wir auf die Wohnimmobilien übertragen.

Ein zweites Learning lautet: Wir brauchen mehr Freiraum für Experimente wie den Gebäudetyp E, der zwar nur halb-gut ist, aber in die richtige Richtung zeigt.

Drittens: Nehmen wir uns ein Beispiel an den Niederlanden, die ihr Baugesetzbuch um ein Drittel geschmälert haben. Wir haben zu viele Auflagen, die das Bauen verteuern und verlängern.

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