Page 3 - LogReal.Direkt_Ausgabe-4.2023
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Editorial
Vorsicht an der Bahnsteigkante!
Mehr Verkehr auf der Schiene: Dieses Ziel haben mehrere Bundesverkehrs-
minister in den vergangenen Jahren verfolgt. Dieses Ziel wurde auch erreicht.
Heute ist auf Deutschlands Schienen so viel los wie nie zuvor. Was die Verkehrs-
minister weniger bedacht haben: Mit dem zunehmenden Verkehr hätten paral-
lel Netz und Infrastruktur der Bahn wachsen müssen. Das Gegenteil ist passiert:
Zahlreiche Strecken wurden stillgelegt, Bahnhöfe geschlossen.
Der in die Jahre gekommene Bestand ist marode. In einem Bericht an den Auf-
sichtsrat zeichnet der Chef der DB Netz AG, Philipp Nagl, ein ungeschminktes
Bild des schlechten Zustands der Bahnanlagen. Erstmals wurde das mehr als
33.000 Kilometer lange Netz der Bahn mit allen Brücken, Tunneln, Gleisen,
Bahnübergängen, Stellwerken und Oberleitungen in einem Notensystem von
eins bis fünf bewertet. Note drei bedeutet, dass die Anlagen in „mittelmäßigem“
Zustand sind und „mäßige Beeinträchtigungen“ aufweisen. Note vier bedeutet
„schlecht“, das heißt, „die Anlage weist wesentliche Beeinträchtigungen“ auf.
Note fünf - „mangelhaft“ - heißt, dass die jeweilige Anlage „unzureichend“, die
Lebensdauer überschritten ist oder den Betrieb beeinträchtigen kann.
Nach dieser Zählung sind 26 Prozent aller Weichen der Bahn derzeit in einem
schlechten, mangelhaften oder ungenügenden Zustand, ebenso elf Prozent aller
Brücken, 22 Prozent der Oberleitungen, 23 Prozent der Gleise, 42 Prozent aller
Bahnübergänge und 48 Prozent aller Stellwerke. „Das deutsche Schienennetz
ist in Teilen zu alt, zu störanfällig und bietet zu wenig Kapazität“, resümiert DB
Netz Chef Nagl.
Die gesamte Bahnbranche ist ernüchtert und schätzt den Investitionsstau inzwi-
schen auf 90 Milliarden Euro. Das Geld wird benötigt, um tausende Kilometer
stillgelegte Strecken zu reaktivieren, den Schienenverkehr zu digitalisieren und
das Netz weiter zu elektrifizieren.
Obwohl die Krise der Bahn laut Bundesrechnungshof chronisch geworden ist,
haben wir in dieser Ausgabe unseren Optimismus gebündelt und Beispiele ge-
sucht, wie es gelungen ist bzw. gelingen kann, mehr Gütertransporte von der
Straße auf die Schiene zu bringen. Ein wichtiger Baustein ist in diesem Zusam-
menhang das vom Fraunhofer IIS initiierte und von unserem Schwesterunter-
nehmen LogReal.DieLogistikimmobilie unterstützte Projekt SIDING, über
das wir exklusiv auf den Seiten 6 bis 9 berichten. Weitere interessante Projekte
auf den Folgeseiten dieser Ausgabe zeigen, dass die Güterbahn eine Zukunft
hat – und haben muss.
Einen schönen Spätsommer wünscht Ihnen
Thomas Pool
Chefredakteur
LogReal.Direkt 3